In vielen Diskussionen, Beiträgen und Vorträgen höre ich immer wieder, bei Talentmanagement geht es um Talente oder High Performer. Oft kommt noch der Aspekt „Potenzial“ dazu – wer ein hohes Potenzial besitzt, ist ein Talent. Diese und nur diese Mitarbeiter müssen in gesonderten Programmen gefunden, entwickelt, umsorgt und gebunden werden, damit sie die Zukunft des Unternehmens sichern.
Was verspricht man sich von diesem Ansatz?
Glaubt man wirklich, dass man mit ein paar High Potential die Zukunft eines Unternehmens bestimmen kann?
Wieviel investieren Unternehmen in einige, wenige Mitarbeiter und was kommt dabei raus?
Ich kann verstehen, dass es für die HR-Manager einfacher ist diesen Ansatz zu wählen. Es ist einfacher Investitionen in Maßnahmen, Entwicklungsprogramme und IT-Systeme für die Besten der Besten genehmigt zu bekommen. Auch können „Wohlfühlprogramme“ eher für diese Mitarbeiter angeboten werden. Zudem kann man auf die bisherigen Weiterbildungsangebote zurückgreifen in welchen sich die Trainer und Coaches wohlfühlen. Die Organisation bzw. die Rahmenbedingungen für Personalentwicklung brauchen nicht verändert zu werden.
Ein waghalsiges Unterfangen, da der Unternehmenserfolg nur von wenigen Mitarbeitern abhängt und die Gefahr besteht das diese jederzeit von der Konkurrenz abgeworben werden. Wenn wir uns die heutige Marktsituation anschauen, Globalisierung, Diversifizierung, Mangel an geeigneten Bewerbern, …… dann müssen die Anforderungen an ein „ Talentmanagement “ ganz andere sein. Und das hat nicht mit New Work oder Demokratisierung der Unternehmen zu tun. In der Mehrzahl der Unternehmen sieht die Organisation aus wie eine Pyramide. Unten mit breiter Basis, man könnte auch sagen das Fundament und ganz oben, einige, wenige. Aber in den letzten Jahren wurde die Pyramide immer flacher. Hierarchieebenen wurden gestrichen, ehemalige „Talente“ haben die Unternehmen verlassen, da es keine Karrieremöglichkeiten mehr gab. Viele Aufgaben wurden in die breite Basis verlagert.
Was nun?
Auf der einen Seite brauchten Unternehmen immer weniger High Potentials / Talente und auf der anderen Seite werden immer mehr verantwortungsvolle Aufgaben, Kompetenzen von Mitarbeitern an der Basis übernommen.
Nur jeder einzelne Mitarbeiter, jedes Team und die gesamte Organisation ist in der Lage die Strategie eines Unternehmens umzusetzen und die Ziele zu erreichen. Der HR-Bereich kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Doch das gelingt nur wenn man einen vollständigen und umfassenden Ansatz wählt – ein strategisches „Talentmanagement“ das alle Mitarbeiter umfasst.
Nur dieser breit verstandene Ansatz des „ Talentmanagement “ bietet die Möglichkeit den Unternehmenserfolg und die Zukunft eines Unternehmens zu sichern. Das Ziel muss sein:
„Die richtigen Mitarbeiter, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben.“
Wie sich in verschiedenen Studien herausgestellt hat, helfen Assessment Center und alle noch so teuren Recruiting-Maßnahmen wenig, um die Mitarbeiter mit dem richtigen Talent und Potenzial für die zukünftigen Herausforderungen zu finden. Ob jemand Talent oder Potenzial besitzt, können sie nur in der täglichen Praxis am Arbeitsplatz, in der Zusammenarbeit mit den Kollegen, den Kunden, den Führungskräften sehen. Am Ende wird jeder Mitarbeiter daran gemessen, welchen Wertbeitrag er zum Unternehmenserfolg beisteuert.
„ Talentmanagement “ ist kein Thema für eine Elitediskussion. Es geht aber auch nicht darum, alle Mitarbeiter und Führungskräfte gleich zu behandeln.
„ Talentmanagement “ ist eine Management-Aufgabe.
Die Aufgabe ist das „Humankapital“ eines Unternehmens im Sinne des Unternehmens zu vermehren – auf allen Ebenen. Ja, – auch wenn mir jetzt einige Gutmenschen widersprechen werden – nur dieser Ansatz bietet den Unternehmen, den Mitarbeitern, den Führungskräften eine dauerhafte Perspektive:
- Den Unternehmen: da die „richtigen“ Ressourcen heute und für die Zukunft bereitgestellt werden.
- Den Mitarbeitern: da sie ihren Fähig- und Fertigkeiten entsprechend eingesetzt und entwickelt werden.
- Den Führungskräften: da es ihre Aufgabe ist, mit diesen Mitarbeitern ihre Ziele zu erreichen.
Bevor Sie mit einem „ Talentmanagement “ anfangen, stellen Sie sich folgende Fragen:
- Welche Strategie verfolgen wir in den nächsten drei bis vier Jahren?
- Welche Ziele sollen in dieser Zeit erreicht werden?
- Welche Kernprozesse sind betroffen?
(Beachten Sie bei der Beantwortung der Frage auch den
Kernprozess „ Talentmanagement “.) - Welche Stellen und Aufgaben ergeben sich daraus?
- Welche Anforderungen ergeben sich daraus an Wissen, Qualifikation,
- Kompetenzen zur erfolgreichen Bewältigung der Aufgaben?
- Woher bekomme ich die Mitarbeiter?
(Internes und externes Recruiting.) - Wie kann ich alle Mitarbeiter effektiv und effizient entwickeln?
- Dazu gehören neben der Bereitstellung von Wissen auch die Kompetenzentwicklung und ein damit einhergehender Ermöglichungsrahmen. Auch ein Monitoring über den Erfolg der Maßnahmen ist dabei zu berücksichtigen.
- Welche Maßnahmen der Mitarbeiterbindung müssen Sie anbieten?
Hier ist nicht so sehr das Gehalt maßgeblich. - …………
Sie werden jetzt mit Sicherheit einwenden, dass dies eine enorme Anstrengung bedeutet. Einiges an Ressourcen, Energie und Geld investiert werden muss. Und ich gebe Ihnen Recht!
Aber was ist die Alternative?
Schon in einer Studie aus dem Jahre 2012, durchgeführt von BCG und WFPMA [1] wurde festgestellt: „Bei erfolgreichen Unternehmen geht die Mitarbeiterförderung über die alleinige Ausbildung von Kandidaten für das Topmanagement hinaus. Um die Bindung und die Entwicklung ihrer Belegschaft zu sichern, sind sie bis zu 2,7-mal aktiver als andere Firmen in Bezug auf das Angebot von Entwicklungsprogrammen, die sich an eine breitere Gruppe von Mitarbeitern richten. Ihr Engagement, internationale Fachkräfte zu gewinnen, ist 1,8-mal so groß, und sie zeichnen sich durch vielfältigere Karrieremöglichkeiten für ihre Mitarbeiter aus – sowohl auf horizontaler als auch auf vertikaler Ebene.“ Und neuere Studien belegen diese Ansicht.
Zum Schluss noch ein Punkt, welchen ich in der Praxis immer wieder sehe, suchen Sie keine Talentmanagement – Software, bevor Sie genau wissen, welche Anforderungen Sie aufgrund ihrer Strategie haben. Ich kann verstehen, wenn man schnelle Erfolge vorweisen möchte, indem man „schon mal was zeigen kann“. Aber es macht keinen Sinn sich an dem Standardangebot der diversen Anbieter zu orientieren, wenn Sie nachher, aufgrund Ihrer tatsächlichen Anforderungen, viel Geld für die dann notwendigen Anpassungen bezahlen müssen.
Wie immer freue ich mich auf Ihr Feedback,
Ihr Franz-Peter Staudt
[1] The Boston Consulting Group und World Federation of People Management Associations; http://www.bcg.de/documents/file110599.pdf