Agile Unternehmen, was hat HR damit zu tun?
Immer wieder hören und lesen wir von agiler Führung, Demokratisierung von Unternehmen, New Work, HR 4.0. Und in vielen dieser Artikel wird auch gleich das Ende von HR herbeigeschrieben (Und tschüss, HR! im Harvard Business Manager).
Nehmen wir mal als Beispiel Scrum. Das ist ein Vorgehensmodell, ursprsprünglich zur schnelleren Erstellung von Software entwickelt. Diese Methode wird allerdings auch in anderen Unternehmensbereich (mehr oder weniger erfolgreich) genutzt. Bei der Produktentwicklung oder in der Forschung. „Agil ist hip und das brauchen wir.“
Auf dem Weg zum digitalen Unternehmen werden nun auch überalle agilen Methoden eingeführt. Da die alten Methoden nicht mehr zur neuen Welt passen. Prozesse angepasst, Teams neu aufgestellt, neue Rollen und Titel vergeben und ein paar Schulungen durchgeführt, da niemand Erfahrungen mit den neuen Tools hat. Und nun macht mal und alles wird gut.
Doch was passiert?
Die Qualität sinkt, Kommunikation findet nicht statt, die Zusammenarbeit funktioniert nicht mehr und die Produktentwicklung dauert immer länger. Alle sind unzufrieden. Der Vorstand, da der Umsatz wegschmilzt. Die Führungskräfte, da auf die Einhaltung der Ziele gepocht wird. Die Mitarbeiter, da der Druck wird erhöht nur keine Fehler mehr zu machen. Der Kunde, da die Produkte und Dienstleistungen nicht mehr gut sind.
Warum, wir arbeiten doch agil?
Ja, aber wie sehen die Rahmenbedingungen aus? Wurde die Organisation (Aufbau- und Ablauforganisation) angepasst? Wie sieht Führung aus? Haben die Mitarbeitenden genügend Zeit, die neue Arbeitsweise zu verinnerlichen? Von Themen wie Kultur oder Werten ganz zu schweigen. Der Herausforderungen gibt es viele und noch mehr Stellschrauben, die für eine positive Veränderung notwendig sind.
Daher ein einfaches Beispiel, das die Herausforderungen von Führung innerhalb eines agilen Umfeldes verdeutlichen soll. Das Beispiel ist nicht allumfassend. Es soll zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Hier und natürlich in den Unternehmen.
Scrum und Führung
In vielen Organisationen ergeben sich damit folgende, neue Rollen:
- Product Owner: Verantwortung für Produkt, gibt die Anforderungen an das Produkt oder die Dienstleistung vor und dass dieses Reihenfolge der Abarbeitung sinnvoll ist.
- Scrum Master: Verantwortet den Prozess, Moderator der Meetings, Vermittler und Unterstützer.
- Team: Führt sich selbst (Self-Organisation), entscheidet über Aufgabenverteilung und Reihenfolge, stimmt sich im Daily Scrum ab.
Damit ist klar, dass viele der bisherigen Aufgaben der Führungskräfte sich nun in anderen Rollen wiederfinden.
- Der Product Owner führt über seine Rolle, indem er Produkt und Reihenfolge der Entwicklung vorgibt -> Was tun wir?
- Der Scrum Master führt, indem er das Team entwickelt, Coacht und auf die Einhaltung der Regeln achtet -> Teamentwicklung
- Das Team führt sich selbst, indem es die Aufgaben verteilt und darauf achtet, dass alles erledigt wird. -> Aufgaben verteilen, erledigen und Monitoren
Was bleibt dann noch für die Führungskräfte?
Auf den ersten Blick wird man vermuten, man braucht sie nicht mehr. Der Product Owner, der Scrum Master und die Teams übernehmen Verantwortung und Führung. Nun, die Führungskräfte werden meiner Meinung nach weiterhin benötigt. Allerdings mit anderen Aufgaben. Ohne die Führungskräfte, und das ist hinreichend bekannt, können Veränderungsprojekte nicht erfolgreich durchgeführt werden. Doch Ihnen droht Macht- und Einflussverlust!
Laterale Führung
Führungskräfte in einem agilen Umfeld werden ohne direkte Weisungsbefugnis führen – Laterale Führung. Sie müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen für agiles Arbeiten vorhanden sind und genutzt werden können. Sie stellen die Teams zusammen und verfügen über eine hohe Kompetenz in der Personalentwicklung. Sie dienen als Eskalationsstufen innerhalb und außerhalb der Teams. Sie sind das Bindeglied zwischen den einzelnen Unternehmensbereichen und verantwortlich, dass die Unternehmenswerte und Compliance Regeln eingehalten werden.
Wer sonst kann in einem Unternehmen, welches sich auf den Weg macht, die Komplexität der Märkte mit agilen Methoden zu begegnen diese Aufgaben übernehmen?
Und HR?
In vielen Unternehmen gibt es Talent Management Systeme, Zielvereinbarungen und sonstige Personalmanagementprozesse. Die passen nicht mehr zu den neuen Methoden, denn
- Wer vereinbart die Ziele, wie und warum?
- Wie funktioniert in einem solchen Umfeld die Nachfolgeplanung oder ein Mitarbeiterfeedback?
- Wie sieht Personalentwicklung aus?
- Wer organisiert den Wertewandel, hin zu kooperativer und eigenverantwortlicher Arbeit?
- Wer befähigt Führungskräfte und Mitarbeitende die neuen Rollen zu leben?
- Wer unterstützt im Wandel die Mitarbeitenden?
HR kommt die zentrale Rolle zu, die geeigneten Werkzeuge, Prozesse und Entwicklungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Ob digital oder analog, ob Methode A oder B, es muss zum Unternehmen und zur Situation passen. Es ist heute in vielen Unternehmen en vogue ein BarCamp oder MOOC durchzuführen. Doch wundert sich dann, warum die Mitarbeitenden sich nicht engagieren. Die Werkzeuge sind nicht das Problem, meist scheitert es an den Rahmenbedingungen (keine Zeit, Wissen wird nicht geteilt).
Meine These, Führungskräfte werden auch in agilen Unternehmen benötigt und HR kommt die zentrale Rolle zum Gelingen dieser evolutionären Veränderung zu.
Was ist Ihre Meinung?
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Lieber Herr Staudt,
diese Einschätzungen teile ich! Führung ist in jeder Organisationsform notwendig – wie sie dann durch wen erfolgt, ist erst einmal zweitrangig. Ich habe auch in Scrum-geführten Organisationen schon durchaus erstaunte Führungskräfte erlebt, die selbst nicht erklären könnten, warum sie sich nun nicht mehr als solche bezeichnen durften, sondern nun “Team Leads” waren.
Neben den von Ihnen erwähnten Punkten ist daher m. E. auch eine gegenseitige Offenheit beider Organisationsformen notwendig – der hierarchischen sowie der Scrum-geführten. Beide Seiten sollten bereit sein, die Vorteile der jeweils anderen Methode zu schätzen und sich ggf. auch (je nach Funktionsbereich und Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit) auf eine friedliche Koexistenz zu verständigen. Auch das kann gelebte Agilität sein! Das Kriterium hierbei muss jedoch die sachliche Notwendigkeit zum Einsatz der Methodik sein. Stattdessen bestehen meiner Erfahrung nach in der Praxis häufig dogmatisch begründete Vorbehalte – auch von Seiten der (was die Akzeptanz anderer Vorgehensweisen angeht interessanterweise gedanklich wenig agilen) Scrum-Organisation!
Nur wenn es gelingt, zwischen traditionellen und innovativen Ansätzen intelligente Brücken zu schlagen, kann das agile Unternehmen funktionieren!
Beste Grüße
Sebastian Hollmann
Hallo Herr Hollmann,
da bin ich ganz Ihrer Meinung. Dogmen bringen uns nicht weiter. Egal welcher Business Change (Organisationsform, Prozesse oder Methoden), er ist meist schnell gemacht. Beim Human Change geht das nun mal nicht so schnell. Das erleben wir bspw. immer wieder bei der Einführung von Kompetenzentwicklung-Maßnahmen. Eigenverantwortliches, selbst organisiertes Lernen muss erst geübt werden. Ängste beseitigt werden. Bisher wurde den Mitarbeitenden über alle Ausbildungssysteme hinweg, von der Schule über die Hochschule und dem dualen Ausbildungssystem und im Unternehmen, genau vorgegeben, was und wie sie zu lernen haben. Das ist ein längerer Prozess. (siehe auch “Veränderungen im Business und Verhalten von Mitarbeitern“)
Vielen Dank für Ihr Feedback. Ich freue mich schon auf den nächsten Input.
Herzliche Grüße Ihr
Franz-Peter Staudt