Performanz und Veränderungen durch agile Design- und Entwicklungsmethodik – Antworten von Alfred Remmits
Überall ist zu hören und zu lesen, dass Unternehmen von Disruption, Digitalisierung, Fachkräftemangel, Komplexität bedroht sind. Die neusten Methoden der Prozessoptimierung, alternative Organisationsformen, besseres Employer Branding, agile Führung oder sogar KI zur Selektion von Bewerber*innen und die notwendige Transformation die Antworten auf die Bedrohungen sind. Ich bestreite nicht, dass diese Lösungen im Einzelfall helfen, aber gibt es nicht ein grundlegendes Problem? Was erleben wir in den Unternehmen?
Ihr müsst euch verändern?
In vielen Unternehmen werden heute noch Veränderungen angeordnet – Ihr müsst euch verändern! Als immer wiederkehrende Projekte, meist mit dem Ziel der Automatisierung von Prozessen oder der Einführung neuer Software. Jedes zweite Jahr wird “reorganisiert” – mal stehen die Produkte im Fokus, mal der Kunden. Es wird viel Geld und Zeit investiert, mit wenig Erfolg. Im Gegenteil. Meist hinterlassen diese Veränderungsprozesse verbrannte Erde.
Wie bereiten wir die Menschen auf Aufgaben vor,
die es derzeit gar nicht gibt,
und wie bereiten wir sie auf den Einsatz von Technologien vor,
die sich noch in der Entwicklung befinden?
Wie aber werden die Mitarbeitenden auf die ständigen Veränderungen und steigenden Anforderungen vorbereitet? Woher erhalten sie ausreichende Unterstützung und Befähigung? Vor, während und nach den Veränderungen – nach dem Wandel ist vor dem Wandel. Vielfach fehlt es in Unternehmen an den notwendigen Skills, Kompetenzen und Werten.
Gibt es Möglichkeiten der Befähigung innerhalb der Arbeitsprozesse?
Wäre es nicht sinnvoll, die Mitarbeitenden heute auf die Veränderungen von morgen vorzubereiten?
Dazu habe ich mich mit Alfred Remmits unterhalten. Er ist der Gründer und CEO unseres Partnerunternehmens Xprtise, einer internationalen learning & performance Organisation.

Alfred Remmits
Alfred Remmits gründete mehrere Unternehmen im Bereich Learning & Performance Support. Ende der 80er Jahre eines der größten IT-Trainingsunternehmen in den Niederlanden und eines der führenden Unternehmen im Bereich Global Performance Support Anfang 2000. Alfred ist auch der Gründer und CEO von Xprtise, einer internationalen Learn & Performance Organisation, die sich auf die Implementierung von Performance Support und Adaptive Learning Technologien auf der Basis der 5 Moments of Need Methodik konzentriert. Alfred ist regelmäßiger Referent bei Lernveranstaltungen und ist international als Experte zu 70-20-10, Performance Support, Adaptive Learning und dem Thema ``Big Data in Learning & Development`` anerkannt.
Alfred hat einen Master-Abschluss in Sozialwissenschaften der Universität Amsterdam und lebt in den Niederlanden.
Remmits: Ich glaube, dass die Rolle von L&D für die Zukunft der Unternehmen an Bedeutung gewinnen wird. Aufgrund der Geschwindigkeit des Wandels, mit der sich Organisationen und ihre Teams auseinandersetzen müssen, muss die Unterstützung der Schlüsselfaktoren der Unternehmen, d.h. der Mitarbeitenden, stärker in den Vordergrund rücken. Wir sind in eine Ära des “kontinuierlichen Wandels” eingetreten, was bedeutet, dass wir viel mehr Energie darauf verwenden müssen, “unsere Mitarbeiter ständig zu unterstützen und befähigen, um mit diesem kontinuierlichen Wandel fertig zu werden”. Unternehmen, die in diesem Prozess der Anpassung an den Wandel und der Agilität als Ganzes scheitern, werden in ihren hart umkämpften Märkten verlieren. Beispiele wie Kodak, Nokia, Blockbuster und kürzlich Toys “R” Us sind interessante Beispiele für Organisationen, die sich nicht an die sich verändernde Welt angepasst haben und aus dem Geschäft ausgeschieden sind. Talent- & Kompetenzmanagement wird kontinuierliche Prozesse und müssen anpassungsfähig und agil sein, was bedeutet, dass die HR- und L&D-Organisationen wichtiger denn je werden.
Unternehmen müssten die Mitarbeitenden kontinuierlich fördern,
um mit dem ständigen Wandel fertig zu werden!
Was ist das Besondere an der Methode “5 Moments of Need”?
Remmits: Organisationen erkennen, dass der traditionelle Fokus auf Schulungs- und eLearning-Trainingsmodalitäten nicht mehr ausreicht, um den Bedarf an kontinuierlicher Schulung und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter in dieser agilen Welt zu decken. Die “10” allein reicht nicht mehr aus und so gehen viele Organisationen in einen 70-20-10 Ansatz, um eine kontinuierliche Lernreise für ihre Mitarbeiter zu unterstützen. Das Problem ist, dass viele Organisationen mit der “70” im 70-20-10 Modell zu kämpfen haben, da sie nicht in der Lage sind, Lernlösungen zu entwickeln, die in das 70-20-10 Modell passen. Fast alle unsere L&D-Profis sind sehr gut ausgebildet im formalen lernen, wo sie gelernt haben, großartige Schulungs- und eLearning-Lösungen zu entwerfen und zu entwickeln, die das formale lernen unterstützen, basierend auf der traditionellen ADDIE Design & Development Methodik. Die 5 Moments of Need Methodik ist in erster Linie eine agile Design- und Entwicklungsmethodik, die entwickelt wurde, um das Design und die Entwicklung der kompletten Lernreisen unserer Mitarbeiter zu unterstützen, und zwar die gesamte “Breite” des 70-20-10 Modells. Die 5 Moments of Need Methode ist die einzige bewährte Methode, die mit der Unterstützung des Mitarbeiters im Arbeitsprozess (die 70) beginnt und diese auch auf die 20 und die 10 erweitert! (Anmerkung: 70% der Lernaktivitäten finden im Arbeitsprozess statt, Erfahrungen sammeln durch handeln. 20% lernen wir durch Austausch mit anderen und “nur” 10% lernen wir durch formale Weiterbildung, wie Seminare und Kurse.)
Moderne Personalentwicklung benötigt
agile Design- und Entwicklungsmethoden,
mit dem Fokus darauf, was die Mitarbeitenden
im Arbeitsprozess wirklich benötigen!
Wie sollten Lernarrangements strukturiert sein, damit Lernen möglich ist?
Remmits: Alle Lernarrangements sollten mit dem “Warum” und nicht mit dem “Wie” beginnen. Wir sehen immer noch, dass unsere internen Kunden mit dem bereits vorgeschriebenen “Wie” zu unseren L&D-Abteilungen kommen. Mit Blick auf die Lösung auf L&D zugehen. Fragen: “Ich brauche ein 2-tägiges Training für mein Vertriebsteam” oder “Ich brauche 4 Stunden eLearning für eine bessere Kommunikation meiner Führungskräfte” sind typische Beispiele für diesen völlig falschen Ansatz. Sie sollten zu ihren L&D-Abteilungen gehen, um eine Diskussion über das “Warum Dinge nicht funktionieren”, “Das Problem zuerst” zu führen. Auf dieser Grundlage aus mit L&D die KPI’s, die Ergebnisse zu definieren, die erreicht werden müssen, um das Problem zu lösen. Von dort aus gemeinsam an der Definition einer Lösung arbeiten, die auf die definierten KPI’s (Ergebnisse) abzielt.
In welchen Branchen kann Workplace Support sinnvoll eingesetzt werden?
Remmits: Performance Support (Synonym mit Workplace Support) funktioniert in jeder Branche, von Regierungsorganisationen, in Fabriken, Dienstleistungsunternehmen, im Gesundheitswesen, in der Unterhaltung, etc. Wir haben Projekte zur Unterstützung von Callcenter-Mitarbeitenden Manager*innen, Werkstattmitarbeitende an Maschinen, Vertriebs- und Marketingmitarbeitende, Kundendienstmitarbeitende, Planer*innen, Bauarbeitende, Pflegekräfte usw. durchgeführt.
Pflegekräfte? Das ist ein gutes Stichwort. Wie nutzen Krankenhäuser in den Niederlanden die 5 Momente of Need?
Remmits: Krankenhäuser weltweit sehen, dass sich Informationen über Verfahren im Gesundheitswesen, Gesundheitskonzepte, Medikamente, Materialien und Geräte schneller als je zuvor ändern. Krankenhäuser verstehen jetzt, dass sie ihr Personal kontinuierlich schulen müssen und dass Schulungen im Klassenzimmer bei weitem nicht ausreichen, es sei denn, sie hätten die Zeit, ihr Personal mindestens ein oder zwei Tage pro Woche in eine Schulung zu stecken; sie haben einfach nicht die Zeit, geschweige denn das Budget dafür. So gehen sie neue Wege bei der Schulung und dem Coaching ihrer Mitarbeiter im Workflow und bauen Lösungen auf, die ihre Mitarbeiter im “Moment des Bedarfs” im Arbeitsprozess unterstützen. Auch die Krankenhäuser waren auf der Suche nach einer guten Methodik, um diese “workflow-orientierten” Lern- und Unterstützungslösungen zu entwerfen und zu entwickeln. Viele von ihnen haben nun die 5 Moments of Need Methodik als Kernmethodik für diese Art von Lösungen übernommen. In den Niederlanden haben wir jetzt einen 5 Moments of Need Kurs entwickelt, der sich speziell an L&D-Leute richtet, die für Krankenhäuser arbeiten.
Jedes Unternehmen kann seine Mitarbeitenden
agil und im Arbeitsprozess unterstützen und entwickeln!
Lohnt es sich nur für große Unternehmen oder auch für KMU?
Remmits: Die 5 Moments of Need Methodik lohnt sich für jede Organisation, die ihre Mitarbeiter*innen auf eine agilere, workflow-orientierte Art und Weise unterstützen möchte, indem sie die gesamte 70-20-10 Lernreise unterstützt. Wir sehen Organisationen ab 100 Mitarbeitern, die mit der Methodik arbeiten.
Was müssen Unternehmen bei der Konzeption und Umsetzung beachten?
Remmits: Unternehmen müssen erkennen und mit ihren Teams kommunizieren, dass es beim Lernen in Zukunft nicht mehr nur um Präsenzschulungen und eLearning geht, sondern in den meisten Fällen um eine Mischung verschiedener Modalitäten, einschließlich der Unterstützung ihrer Mitarbeiter*innen im Workflow. Sie müssen erkennen, dass dies eine andere Methodik von Design & Entwicklung und eine andere Reihe von Technologien (Performance Support und Adaptive Learning Technologien) erfordert, um das Lernen im Workflow zu unterstützen. Schließlich müssen sie erkennen, dass Governance und Content Management in Zukunft zu Kernprozessen und -fähigkeiten für ihre L&D-Organisationen werden, kombiniert mit starken Datenanalysefähigkeiten.
Gibt es eine Möglichkeit, die Leistungssteigerung um 5Mon zu messen?
Remmits: Bei modernen Learning & Performance Lösungen muss der Fokus auf der Lösung von Geschäftsproblemen liegen, basierend auf klaren KPI’s. Als Teil der Gesamtlösung konzentrierte sich eine klare Messstrategie auf die Messung der Auswirkungen auf den definierten KPI-Bedarf. KPI’s beziehen sich z. B. auf Umsatzsteigerung, Verringerung von Produktionsproblemen, kürzere Anrufzeiten, bessere Mitarbeiterbindung, etc. Wie bereits erwähnt, wird die Fähigkeit einer guten Datenanalyse in der modernen L&D-Organisation immer wichtiger, um sicherzustellen, dass die Daten gut definiert und als Teil der Gesamtlösung interpretiert werden.
L&D muss sich an den Businessergebnissen messen lassen,
dazu braucht es gute Datenanalyse und sinnvolle KPIs!
Was hindert die Verantwortlichen daran, bei L&D neue Wege zu gehen?
Remmits: Traditionelles Denken (wir haben es immer so gemacht, mit tollen Klassenräumen), Angst vor Veränderungen in der Organisation. Wir merken aber auch in der L&D-Abteilung, dass nicht der richtige Antrieb zur Veränderung, fehlende Change-Management-Fähigkeiten und mangelnde Führung sie daran hindert.
Welchen Rat geben Sie den Mitarbeitern in den L&D-Abteilungen, wenn sie die “5 Momente of Need” einführen wollen?
Remmits: Verstehen Sie das “Warum” dieser Veränderung und fangen Sie wirklich an, die Fähigkeiten zu verstehen und zu erlernen, die für den Einsatz von 5 Moments of Need-Projekten erforderlich sind. So wie wir in unserer früheren Ausbildung die ADDIE Design & Development Methodik erlernen mussten, um großartige Designer und Entwickler von Klassenraumtrainings und eLearning zu werden, müssen wir uns nun auch in dieser neuen Methodik weiterbilden und uns manchmal sogar umerziehen. Wir müssen auch verstehen, dass wir als L&D-Team in die Anwendung dieser Methode investieren müssen. Außerdem müssen wir verstehen, dass die “Kommunikation dieses neuen Ansatzes” ein zentraler Aspekt für den Erfolg sein wird. Unsere Führungskräfte und unsere Mitarbeiter’innen müssen verstehen, warum wir das jetzt anders machen und was das für ihre tägliche Arbeit bedeutet. Das Lernen wird zum Bestandteil des Arbeitsalltags.
Sowohl als auch, statt entweder oder,
L&D sollte sich an 70:20:10 orientieren.
Brauchen wir digitales Lernen und sind Präsenzveranstaltungen noch notwendig?
Remmits: Ja, Face-to-Face-Veranstaltungen und traditionelles eLearning sind immer noch Teil der Gesamtlösung, da sie die 10 im 70-20-10-Ansatz sind, aber weniger dominant sein werden als in den “alten” Ansätzen, wo formales lernen “10” der führende Faktor war. Im Durchschnitt sehen wir in Organisationen, die die 5 Moments of Need-Methodik anwenden, eine Reduzierung des Schulungsvolumens und des eLearnings um 50-75%.
5 Moments of Need kann das
Schulungsvolumen um 50 – 75% reduziern
Wie lassen wir die Fähigkeiten reifen, mit denen man Probleme selbstorganisiert und kreativ lösen kann?
Remmits: Indem wir diesen Teil des gesamten Trainingsprogramms machen. Wir müssen unsere Mitarbeiter*innen im Umgang mit Performance-Support-Technologien und adaptiven Technologien schulen, damit sie sich im Workflow selbst bedienen können. Manager*innen müssen sich auch der Instrumente und Ansätze bewusst sein, die entwickelt werden, um ihre Teams bei ihrer Arbeit zu unterstützen, und verstehen, dass diese ein integraler und wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit sind und gefördert und verwaltet werden müssen.
Wie bereiten wir die Menschen auf Aufgaben vor, die es derzeit gar nicht gibt, und wie bereiten wir sie auf den Einsatz von Technologien vor, die sich noch in der Entwicklung befinden?
Remmits: Informieren Sie die Mitarbeitenden kontinuierlich über die Tatsache, dass sich unsere Welt aufgrund der Menge an Informationen, die zu unseren Organisationen und damit zu unseren Arbeitsplätzen und Mitarbeitern gelangen, verändert. Wir müssen offen und ehrlich über die Tatsache des “kontinuierlichen Wandels” sein und verstehen, dass die meisten Menschen dies nicht gewohnt sind und selbst in vielen Fällen Veränderungen überhaupt nicht mögen. Wir müssen eine Zukunft des kontinuierlichen Wandels predigen und dass der einzige Weg, um zu überleben, die Anpassung an diesen kontinuierlichen Wandel ist und dass die Organisation und Führung bereit ist, in die Unterstützung ihrer Mitarbeiter zu investieren, um diesen Prozess zu bewältigen. Kommunikation ist der Schlüssel!
Ist es möglich, durch die “5 Momente der Not” Kompetenz und Wert zu entwickeln und wenn ja, wie kann das funktionieren?
Remmits: Ich glaube, dass die 5 Moments of Need die einzige Methode in der Welt von L&D ist, die der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Entwickung der Kompetenzen gerecht wird. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit Werten zu tun hat, da ich dies eher als einen notwendigen Kommunikationsprozess betrachte, der notwendig ist, damit sich Ihre Teams dem ständigen Wandel in dieser neuen Welt anpassen können.
Wie sehen Sie die Entwicklung von Gamification und Serious Games für die berufliche Weiterbildung?
Remmits: In Situationen, in denen es schwierig ist, Menschen in der realen Stress- oder Gefahrenumgebung zu trainieren, wie z. B. bei Militär, Polizei, Feuerwehr oder bei komplexen Situationen und Maschinen, spielen Gamification und Serious Games eine wichtige Rolle. Aber für mich sind das alles nur Werkzeuge und es wird wieder eine gute Design- und Entwicklungsmethodik benötigt, um sicherzustellen, dass diese im richtigen Moment eingesetzt werden. Sie sind nur Werkzeuge und nichts weiter.
Es gibt seit einiger Zeit auch die Möglichkeit die Methode in einem Onlinekurs zu erlernen und in einem individuellen Projekt umzusetzen. Wann findet das nächste “5 Moments of Need”-Zertifikatsprogramm statt?
Remmits: Am 5. September 2018 (Informationen gibt es hier: The 5 Moments of Need© Designer Certificate Program)
Vielen Dank Alfred, für das Interview.
Ich hoffe, wir konnten mit diesem Interview die Leser*innen für die 5 Moments of Need interessieren und
die Relevanz und Möglichkeiten der Methode für Unterstützung und Befähigung der Mitarbeitenden in Organisationen aufzeigen.
Falls nicht, stehe ich gerne für Fragen zur Verfügung: fpstaudt(at)competencehouse.de
Sehr gutes Interview mit klaren Aussagen über den “Warum” und “Wie” Personalentwicklung (L&D) ihre Lernarrangements änderen soll. Vielen Dank.
Vielen Dank, dass es Ihnen gefallen hat.
Alfred Remmits ist eben ein absoluter Experte auf dem Gebiet.
Und die Methode hat sich in vielen Branchen und Ländern als erfolgreich herausgestellt.
Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?